Paul Heimbach im Gespräch mit S. D. Sauerbier
S. D. Sauerbier Vom Lese-Buch zum Hörspiel: Sie haben einige Ihrer Bücher an Kopfhörer angeschlossen. Aus ihnen ertönen die verstärkten Geräusche, die beim Blättern entstehen. Wie sind Sie zu den "Klangbüchern" gekommen? Wann haben Sie mit ihnen begonnen?
Paul Heimbach Vor drei, vier Jahren. Es dauert ziemlich lange, bis die Textanordnung ein Buch ermöglicht. Die Ausführung ist dann ein ganz eigener Vorgang, der zum Beispiel von der Technik mitbestimmt wird. Zwischen der ersten Beschäftigung mit dem Text und der Fertigstellung liegen zwei, drei Jahre. Lange entwickeln sich die Arbeiten weiter. Ich habe zehn Worte aus "Finnegans Wake" genommen - sie sind dort in Klammem gesetzt und gelten als Bezeichnungen von Donnerschägen: jeweils Worte von 100 Buchstaben. Als Rohstoff für Untersuchungen haben sie sich mir angeboten; es sind ganz "abstrakte" Worte. Auf die Spitze getrieben wurde dies dadurch, daß ich die Worte "geöffnet" habe.
Sauerbier: Sie haben jeweils ein Wort auf eine Doppelseite verteilt. Was bestimmt die Plazierung der Worte? .
Heimbach: Sie wurden in der Waagerechten in ihrem Ablauf beibehalten, in der Senkrechten hingegen sind sie, dem Alphabet folgend, auf Reihen verteilt. Die Worte sind weiter lesbar, aber offen. Alle 'A's stehen oben, alle 'Z's stehen unten. Beherrscht man die Lesart, dann ergeben sich alle möglichen Konstellationen, die in den Wörtern drin sind, die man zusätzlich liest. Man kann nun mit dem Wort spielen.
Sauerbier: Teils ist es Lautmalerei, teils sind's verschachtelte Wörter, Portemanteau-Words: ineinandergeschobene Etyms sind darin enthalten, wie Arno Schmidt sie nannte...
Heimbach: Die sind in meiner Technik ausgespart in Tusche auf Transparentpapier. Beim Trocknen, nach dem Tuschebad werden die Blätter dann sehr kraus. Sonst bügle ich meine Blätter - in dem Fall habe ich es gelassen und bekam nun viel Sound beim Umblättern, was mir bei der Thematik "Donnerklänge" gelegen kam. Sauerbier: Im Einband haben Sie Aluminiumblech verwendet, verstärkt wird auch das Geräusch bis zum Krachen - Theaterdonner auf der Hörbühne, wie das Hörspiel im Rundfunk der 20er Jahre genannt wurde.
Heimbach: Vorstandttheaterdonner auf der Kleinkunstbühne. - Zunächst habe ich mit gewöhnlichen Mikrophonen Versuche gemacht, das brachte nicht viel; es war zuviel Raum-Klang dabei. Dann habe ich KontaktMikrophone unter den Einband geklebt. Mit Verstärkung und zusätzlichem Hall-Gerät werden die Geräusche über Kopfhörer wiedergegeben.
Der Hall brachte mich auf die Idee, die Schrift zu verdoppeln, nämlich optisch etwas Ähnliches passieren zu lassen. In dem nächsten "Klangbuch" läuft die Schrift auf zwei Ebenen, die sich durchdringen - die Buchstaben haben aber unterschiedliche Größen. Im dritten "Klangbuch" erscheint die Schrift positiv und negativ bzw. ausgespart. Im letzten, abschließenden sind beide Ebenen positiv und negativ gesetzt. Sauerbier: Haben Sie Hörer / Leser / Benutzer der "Klangbücher" beobachtet?
Heimbach: Man beschäftigt sich weniger mit den Formen oder den Informationen, ...
Sauerbier: ... sondern eher mit dem Stoff, mit dem Material und weniger mit dem Lese-Buch?
Heimbach: Man ist mehr an der akustischen Seite interessiert. Manche Leute nehmen das Gerät, die Apparatur sozusagen als Schlagzeug in Gebrauch.
Sauerbier: Mir berichtete ein Besucher aus Frankfurt, der jemanden gesehen hat, welcher einen Hörer auf dem Kopf hatte und in sich hineinlachte. Der Außenstehende nahm an, es würde eine Geschichte wiedergegeben, die den Zuhörer hat lachen lassen.
Heimbach: Offensichtlich gehen etliche Benutzer mit einer entsprechenden Erwartungshaltung an die "Klangbücher"; auch bei der Ausstellung "Klangskulptur" in der "Fuhrwerkswaage" ist mir das aufgefallen. Ältere Leute konnten sich nichts anderes vorstellen, als daß ihnen "der Inhalt des Buches offenbart" würde - aber in gewisser Weise ist das ja tatsächlich auch der Fall.
Sauerbier: Werden denn Informationen illustriert - oder steht der Inhalt parallel neben dem akustischen Ereignis?
Heimbach: Die Erwartungshaltung bei Büchern ist ja, daß man etwas mitgeteilt, erzählt, berichtet bekommt.
Sauerbier: Hat Ihnen jemand seine Erfahrungen berichtet?
Heimbach: Frau Post, die Buch-Antiquarin, hat einen Monat Erlebnisse mit Benutzern gehabt. Die Leute brauchten erstaunlich lange, bis sie merkten, daß sie selbst die Auslöser sind. "Hast Du die Aufnahme selbst gemacht?" fragten mich Besucher im Atelier. - Es ist natürlich einem Tontechniker sofort klar, was da passiert...
Sauerbier: Was sind die technischen Bestandteile der Solarobjekte?
Heimbach: Ich habe Summer als Tonerzeuger eingesetzt; in den "Klangbüchern" benutzte ich vorher Summer als Mikrophone, man kann sie auch als Lautsprecher anschließen.
Sauerbier: Mit Solarzellen und Rechnern haben Sie viele Versuche gemacht.
Heimbach: An die hundert Taschenrechner habe ich gekauft, die alle irgendwie verbraucht sind. Ich besitze eine ganze Kiste mit Elektronik-Schrott.
Sauerbier: Sie sagten, Sie mögen keinen Ballast belastet Sie manchmal die Technik beim ObjekteBauen oder beim Installieren?
Heimbach: Ich glaube, das ist bei Büchern und Objekten das Gleiche. Sie kennen meine Vorliebe für das Einfache. Ich habe früher viele Tonbandgeräte gesammelt und nun alle, gekoppelt an Solarzellen, wieder in Betrieb genommen. Im Laufe der Entwicklung habe ich die Technik immer weiter vereinfachen können und die Bandgeräte nicht mehr gebraucht. Sobald ich eine einfachere, eine klarere Möglichkeit für angemessen halte, verwerfe ich meist die kompliziertere.
Vereinfachung bedeutet zunächst einen Lernprozeß. Ich riskiere damit aber, daß sich Projekte mit zunehmender Vereinfachung in Luft auflösen. Der Prozeß hat sich gegen mich gekehrt. Ein paar Anlagen halte ich für optimal, nämlich die mit möglichst wenig technischem Aufwand . Alles was zuviel Technik enthält...
Sauerbier: ... ist von Übel, überwältigt einen und lenkt ab. Was ist Ihr Ideal des "Klangbuches"?
Heimbach: Ich habe eine Vorliebe für den Zufall und für die selbständige Veränderung von Objekten. Der kürzeste Weg ist jetzt von der Solarzelle über den Rechner zum Tonerzeuger. Inzwischen ist das Buch "273" vertont; (der Titel nimmt Bezug auf John Cages Stück "4' 33"", was 273 Sekunden entspricht - daher die Anzahl 273 Blätter). "Monoton" ist der Titel der zweiten Auflage. Im Einbandrücken des "Zellophanbuchs" befindet sich ein Solarrechner, mit einem Summer als Tonerzeuger eingesetzt. Sobald das Buch aufgeschlagen wird, sendet es einen einfachen Ton, ein leises Brummen. Aber bei jedem Umblättern verändert der Betrachter/Leser denTon, weil der Zwischenraum zur Solarzelle vermindert wird. Zusätzlich verändert sich der Ton mit den Lichtverhältnissen. Der gesamte Spielraum wird abgerufen - in einer Reihenfolge, die nicht festgelegt ist.
Sauerbier: Der Rezipient kann damit umgehen oder das Objekt sich selber überlassen - das Objekt arbeitet sozusagen für sich.
Heimbach: Manche Künstlerkollegen setzen sich an ihre Geräte und produzieren dann vor Publikum - das entspricht nicht meinen Auffassungen.
Sauerbier: Nun ist die Frage nach den Aktivitäten, die Sie bei den "Klangobjekten" dem Rezipienten zugedacht haben. "Handlungen im und am Buch" nannte ich einen Bericht über eigene Arbeiten 1967 . - Welche Anweisungen geben Sie für Buch-Handlungen? Was für eine Rolle sehen Sie für den Betrachter / Leser / Hörer vor - ist es die eines feststellenden Beobachters? Bei den "Klangbüchern" geht aus der technischen Anordnung und der Installation die Anleitung an den Rezipienten hervor. Man hat die Möglichkeit, direkt einzugreifen - und man tut es, ob beabsichtigt oder nicht.
Heimbach: Jemand bewegt sich, ein Schatten fällt, ein Lichtsignal im Raum blinkt auf, Sonne fällt ein, eine Lampe wird an- oder ausgeschaltet, sie verändern die Reaktionen der Objekte und den Klang. Zufall kommt zusammen mit permanenten Veränderungen innerhalb eines Spielraums, der in allen Nuancierungen im Laufe der Zeit ausgespielt werden soll. - In der Farbe interssieren mich im Moment Ähnlichkeiten, die bei verschiedenen Lichtverhältnisse gegeneinanderarbeiten.
Sauerbier: Ihre Arbeiten integrieren visuelle, akustische oder haptische Wahrnehmung und Lesen als Dekodieren und Dechiffrieren zu komplexer Rezeption. Was für weitere Arbeiten planen Sie? Heimbach: In Zukunft möchte ich die akustische Wahrnehmung mit der visuellen meiner Bilder in Zusammenhang bringen; ich bin dabei, die Akustik für meine nächste große Serie zu entwickeln.
Sauerbier: Wir sprachen neulich über den Aspekt Spiel in ihren Arbeiten. "Waren Sie schon mal in Salzburg?"
Heimbach: Nein.
Sauerbier: Schon verloren. Ein Spiel von Ludwig Gosewitz: Was Sie auch auf die Frage antworten: Schon verloren. Keine Partien, keine Varianten. Gosewitz' Frage suggeriert Offenheit einer Alternative: Ich war in Salzburg oder nicht - entweder oder. Es gibt auch Spielregeln, die etwas anderes als Alternativen vorsehen. - Einerseits sind Ihre Arbeiten Partien von Spielen, die Sie ausführen,andererseits geben Sie den Lesern / Betrachtern oftmals Spielregeln an die Hand, so daß sie ihre Partien selbst spielen können.
Heimbach: Man denkt, meine Arbeiten seien Serien aber man merkt, bei dem-und-dem Komplex handelt es sich eigentlich um Regeln, die durchgespielt werden. Bei den "Quadratbüchern" gebe ich den Lesern /Betrachtern eine Partie mit, und er hat 863 Partien offen, die er selbst spielen kann.
Sauerbier: John von Neumann hat die Theorie der Spiele entwickelt. Mit der Kategorie Spiel hat Ludwig Wittgenstein seine Sprachtheorie aufgebaut: Gewisse Gesetzmäßigkeiten oder Regelhaftigkeiten sind nicht von der Sprache abzuziehen, zu abstrahieren - wohin auch? Die Möglichkeit einer Metasprache lehnt er ab. Die Ordnungen oder Strukturen, Gesetzmäßig- oder Regelhaftigkeiten der Sprache erweisen sich. und das Ästhetische erweist sich; es kann ebensowenig abgezogen werden vom ästhetischen oder ästhetisch realisierten Objekt, es ist nicht umkodierbar. Sondern an die Gegenwart des ästhetischen Realisats gebunden.
Heimbach: Sie kennen meine Tuschetechnik, sie beinhaltet alle Eigengesetzlichkeiten des Wassers. In früheren Arbeiten hat mich eine Fragestellung beschäftigt, die technisch übersetzt werden mußte, um in den Prozeß eingegeben werden zu können; sonst wäre es eine Verletzung der Spielregeln gewesen. Aber für den Betrachter ist nicht mehr oder noch nicht klar, wo denn meine Eingriffe liegen, wo mein Handlungsspielraum ist ...
Sauerbier: ... wegen der Übersetzung und Rückübersetzung. Soll ich als Betrachter gewisse Regeln rekonstruieren- oder kann ich sie selbst zur Anwendung bringen? Erscheinen mir die Regeln augenfällig oder ihre Anwendung?
Heimbach: Die Vorinformationen waren nicht gegeben. Neulich habe ich eine Phantastische Arbeit von Boetti gesehen. - die gleiche Anordnung, zehnteilig wie in den "Joy...Büchern“. Im ersten Bild sieht man die Buchstaben von A bis Z und ab dann nur Kommata. Es war die einzige Arbeit in dem riesigen Raum der Galerie Leccese Sprüth. Da sah ich, daß das dritte Bild auf dem Kopf hing. Eine Angestellte der Galerie fragte mich freundlich: "Kommen Sie mit dem System klar?" Ich sagte: "Danke, ich denke schon."
1988 Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, Bonn;
1988 Hommage an Morton Feldman, Kölnischer Kunstverein;
1989 "Klangreihen", Städtische Galerie Würzburg;
1989 "For Joy..'', Constantin Post, Köln;
1989 Galerie Ute Parduhn, Düsseldorf;
1990 "Klangskulpturen", Fuhrwerkswaage, Köln (Beteiligung);
1991 Galerie Druck und Buch, Tübingen