Der nachfolgende Text ist dem Appendix der Faksimile-Ausgabe
des ältesten Kölner Drucks
DE OCCULTA PHILOSOPHIA von HEINRICH CORNELIUS AGRIPPA VON NETTESHEIM von 1533
Herausgegeben und erläutert von Karl Anton Nowotny,
Akademische Druck- und Verlags-Anstalt Graz 1967 entnommen.

Liber II, capita 21 - 23 De virtutibus numerorum Appendices V, VIII-XVII; Fig. 24-27.
Das erste Kapitel des Abschnittes spricht allgemein über die Zugehörigkeit der Zahlen zu Gottheiten und Elementen. Das dritte und letzte Kapitel des Abschnittes spricht über jene geometrischen Figuren, die Zahlenverhältnisse enthalten. Das sind jene Polygone, die später auch auf Talismanen, Sigille ist der korrekte zeitgenössische Ausdruck, erscheinen sowie die regelmäßigen, platonischen Körper und die Kugel.
Das Kapitel 22 hat von allen Kapiteln der Occulta philosophia die stärkste Beachtung gefunden. Der oder einer der zugrundeliegenden arabischen Texte ist das "Buch über die Anweisung des richtigen Platzes der Planeten" des az-Zarkani. Dieser unübersetzte Text oder ein ähnlicher liegt dem Traktat: "De septem quadraturis planetarum" zugrunde, den Agrippa ausgeschrieben hat, Auch Albrecht Dürer hat diesen Text, vielleicht durch Vermittlung humanistischer Freunde, gekannt und er hat ihm das auf dem Stich "Melencolia I" dargestellte magische Quadrat entnommen, Magische Quadrate wurden nämlich damals in Europa nicht konstruiert, sondern nur griechischen und arabischen Quellen entnommen; darüber später.
Die nächste Redaktion des Textes, in paracelsischer Schreibweise, findet sich in der "Archidoxis magica" . Diese pseudoparacelsische Schrift wurde 1572 in der zweiten Basler Archidoxenausgabe erstmals gedruckt.
Erst neunzig Jahre später erschien Israel Hiebners Mysterium sigillorum, Herbarum et lapidum mit wieder einer neuen Redaktion mit spagyrischen Rezepten zur Vorbereitung der Metallplatten (1651).
Athanasius Kircher bringt denselben Traktat nach zwei arabischen Autoren (1653). Sehr merkwürdig ist, daß das besprochene Calendarium Magicum jene Tabellen des az-Zarkani enthält, die zur Wahl des richtigen Tages für die stärkste Wirkung beim Tragen des Talismanes dienen. Der in beiden Fällen verwendete Kalender ist der Seleukidische (Iskenders des Zweigehörnten) mit der Epoche 311 v. Chr. und mit dem Jahresbeginn am 1. Oktober. Dieser syrische Kalender wurde viel zu Datierungen gebraucht und wurde, wie das Beispiel zeigt, für astrologische Zwecke dem arabischen Mondjahr vorgezogen.
Nach diesen Texten sind die "astrologischen Medaillen" der sieben Planeten mit magischen Quadraten geprägt. Es ist in keinem Fall klar, ob es sich bei den Abbildungen und Bildbeschreibungen in den Texten um Vorlagen handelt oder ob einfach schon im Handel befindliche komplette Sätze der sieben Sigille abgebildet und beschrieben wurden. Es gab komplette Sätze. Wie durch die einzigartige Kassette mit sieben Sigillen im Wiener Münzkabinett bewiesen ist, kamen sie auch als kompletter Satz in den Handel. Die Sigille konnten dann nach Bedarf und nach den Anweisungen etwa des Calendarium Magicum getragen werden. Sicher wurden aber jene Sigille, deren Wirkung begehrter war, auch einzeln geprägt. Das Häufigkeitsverhältnis der astrologischen Medaillen mit magischen Quadraten istz. B. im Wiener Münz-Kabinett, der größten Sammlung dieser Art, folgendes: Saturnus: 3, Jupiter: 9; Mars: 8; Sol: 14; Venus: 23; Mercurius: 1; Luna: 5. Noch im XIX. Jh. erwarb A. M. Pachinger ein Sigillum Veneris, das durch Generationen von den Bräuten einer Familie getragen worden war.
Es ist übersichtlicher, die einzelnen Elemente der Sigille je für sich zu besprechen, nämlich die magischen Quadrate, die Beischriften und Charaktere und die Bilder.
Die Geschichte der magischen Quadrate in Asien ist ebenso dunkel, wie dort die Geschichte des Schachspieles oder des Kartenspieles dunkel ist. In Europa liegen die Dinge dank der Archive, Schatzkammern und Bibliotheken anders. Die Kenntnis des Quadrates mit neun Feldern wurde beharrlich dem ältesten China zugebilligt, obwohl es weder in Texten noch auf archäologischen Stücken vor dem Sung-Konfuzianismus nachweisbar ist. Fast zu gleicher Zeit tauchen magische Quadrate in der arabischen Literatur auf.
Über die Geschichte und die Verwendung der magischen Quadrate in Indien gibt es keine irgendwie brauchbare Vorarbeit. Der mathematischen Begabung der Inder liegen aber gerade derartige arithmetische Spiele. Die Unkenntnis des indischen Materiales macht an sich schon jeden Versuch unmöglich, über diese "eurasiatische Mode" etwas auszusagen.
Über die magischen Quadrate der Araber gibt es gute Arbeiten. Wie ungenügend alle diese Vorarbeiten sind, wird sofort deutlich, wenn man etwa versuchen wollte, einen der zahlreichen Gegenstände mit solchen Quadraten genau zu erklären. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn weder die Archäologie des weiten islamischen Gebietes noch die islamische Zauberliteratur haben eine ins einzelne gehende Bearbeitung gefunden.
Die Konstruktion magischer Quadrate erfolgte niemals durch theoretische Berechnung, sondern durch Suchen nach mechanischen Regeln zur Einschreibung der Zahlen, In Europa haben sich verschiedene Mathematiker zwischen dem XVI. und XVIII. Jh. mit diesen Zahlenfiguren befaßt, eine grundsätzliche Bedeutung, etwa für die Problemeder räumlichen Verteilung von Zahlen, hat man bisher nicht in diesem Zahlenspiel gefunden.
Für die vorliegende Untersuchung sind nur jene Quadrate von Interesse, die auf astrologischen Talismanen verwendet wurden. Jedes magische Quadrat kann natürlich acht Stellungen einnehmen, Drehungen (mit dem Uhrzeiger) um 90°, 180° und 270° sowie das Spiegelbild desselben Quadrates mit denselben Drehungen. In der Folge werden die Quadrate mit 9 bis 81 Zellen der Einfachheit halber mit Qu 9 bis Qu 81 bezeichnet.
In der Enzyklopädie der "Lauteren Brüder" aus der zweiten Hälfte des X. Jh. sind vier Quadrate erwähnt, die schon publiziert sind. Ganz ähnliche und bisher unpublizierte Quadrate finden sich in Handschriften der persischen Übersetzung der Kosmographie des al-Kaswini.

Abbildung 1

Qu 9 ist das einfachste magische Quadrat, bei dem alle Zahlen um 7 erhöht sind. Dieses Quadrat wird schon um 900 erwähnt, dem Balinas (Apollonios) zugeschrieben und als geburtsförderndes Mittel angepriesen. Qu 16 ist ein Beispiel für eine sehr häufige Form solcher Quadrate. Die Reihen: 1 - 4, 5 - 8, 9 - 12 und 13 - 16 werden je um soviele Einheiten vermehrt (oder vermindert) als notwendig sind, um den Zahlen der obersten Zeile den Zahlenwert von Buchstaben oder Buchstabengruppen eines Wortes oder von Wörtern eines Satzes zu geben. Es liegt eines der vielen Konstruktionsschemen des Qu 16 zugrunde und die Reihen sind um 15, 15, 17 und 39 vermehrt:

Abbildung 2

Qu 25 ist das um 90° gedrehte Spiegelbild des später zu besprechenden Typus B und daher nicht wiedergegeben, Die Konstruktion des Qu. 36 ergibt sich aus den eingezeichneten Linien. Bei dieser Konstruktion sind durchwegs Zahlenpaare gebildet, die die Summe 37 bilden. Typus A: Diese Quadrate sind bei Agrippa verwendet. Sie mögen grichisch-byzantinischen Ursprunges sein, denn ihre Konstruktion, mit Ausnahme von Qu 36, ist bei Moschopoulos angegeben. Qu 81 dieses Typus kommt in der astrologischen Handschrift Wien phil. graec. 108 vor, Quadrate desselben Typus mit griechischen Beischriften, Charakteren und Sandzeichen stehen auf in Thasos gefundenen Talismanen. Cardanus bringt dieselben Quadrate, teilt sie aber den Planeten in umgekehrter Reihenfolge zu. Die Quadrate des Typus A verwendet auch az-Zarkani mit Ausnahme von Qu 25, Qu 49 und Qu 81, die er anders konstruiert.
Typus B: Das sind die Quadrate des Traktates De septem Quadrat Uris Planetarium. Qu 16 verwendet Albrecht Dürer auf der "Melencolia I" . Diese Quadrate sind auch in den ersten Ausgaben der pseudoparacelsischen Archidoxen verwendet. Da man die Druckfehler nicht mehr zu berichtigen imstande war, hat man in den späteren Ausgaben ab Qu 36 die Quadrate Agrippas verwendet.
Verhältnismäßig selten hat man nach deutlichen Schemata Neukonstruktionen angefertigt. So ist Qu 49 auf einer astrologischen Medaille des Wiener Münzkabinettes (145641) nach Qu 25 des Typus B neu konstruiert worden.
"Geränderte magische Quadrate" tauchen in Europa zum ersten mal bei Michael Stifel auf. Stifel gibt Qu 81 und Qu 256 an. Diese Quadrate lassen sich durch Verminderung bestimmter Zahlen in kleinere Quadrate umwandeln und das ist auf einer astrologischen Medaille des Wiener Münzkabinettes für Qu 36 auch geschehen (145 584). Athanasius Kircher bringt nach zitierten arabischen Quellen ebensolche geränderte magische Quadrate. Qu 25 auf einer Wiener Medaille (145 579) ist nach Kircher konstruiert oder reduziert worden.
Einen vollständigen Satz der sieben Quadrate, der noch nicht publiziert ist, enthält "Das Meer der Einsicht über die Wissenschaft der Buchstaben" von al-Bistami (oder al-Buni). Qu 8 und Qu 16 sind vom Typus A und daher nicht abgebildet.


Abbildung 3

Es ist von Bedeutung für das Verständnis, zu verfolgen, welchem Ziel die gelehrten islamischen Kabbalisten eigentlich zustrebten, Das war zweifellos in erster Linie die Absicht, die Zahlenwerte bestimmter Buchstaben und Worte in möglichst geheimnisvoller Weise in Quadraten zu versetzen. Neben der magischen Wirkung solcher Zahlenwerte und wieder zur Begünstigung dieser Wirkung wurden möglichst vollkommene mathematische Konstruktionen angestrebt. Das zeigt sich sofort in den harmonischen Arabesken, die entstehen, wenn man die Zahlen eines solchen Quadrates in ihrer fortlaufender Reihe mit Linien verbindet. Bei Qu 36 aller Konstruktionen und bei allen geränderten magischen Quadraten wollte das aber auf keine Weise gelingen. Letzteren muß man aber an sich einen höheren Grad von Vollkommenheit zugestehen, weil sie neben den gewöhnlichen Bedingungen noch die Bedingung erfüllen, daß nach Fortnahme von Zonen auch der Rest noch die Eigenschaften eines magischen Quadrates erfüllt. Al-Buni ist aber auch die Meisterung dieses Problemes gelungen. Mit besonderer Vollkommenheit für die ungeraden Quadrate und mit unsymmetrischen, aber immerhin harmonischen Arabesken für die geraden, einschließlich der das ganze System der Harmonie störenden Qu 36, Qu 100 usw. Die Auffassung der magischen Quadrate als harmonische Gebilde wird durch Agrippa voll bestätigt. Auch nach seiner Meinung harmonieren diese mensulae Planetarium wegen der ihnen innewohnenden Harmonie mit den Sphären.


Abbildung 4

Für die Charaktere, die Agrippa mit seinen magischen Quadraten in Zusammenhang bringt, ist noch kein Vorbild gefunden Vielleicht hat er sie selbst konstruiert und erdacht. Die Konstruktionsschemata der Quadrate werden von Agrippa als Sigilla bezeichnet. Bei Qu 9, Qu 16, Qu 36 und Qu 64 ist das klar ersichtlich, Bei Qu 25, Qu 49 und Qu 81 gibt nur ein Teil der Linien die Konstruktion des betreffenden Quadrates an. Die übrigen Linien, ebenfalls dem schachbrettartigem Konstruktionsschema folgend, bilden für die Planeten charakteristische Figuren Die Charaktere Agrippas sind so konstruiert, daß die Buchstaben der Namen der betreffenden Intelligenzen oder Daemonen durch Linien verbunden sind Verwendet sind nur die Einer und die Zehner. Dabei können nach Art vieler dieser Geheimschriften Einer den Zehnern und Hundertern gleichgesetzt werden oder die Zehner den Einern und Hundertern. Häufig ist der erste und letzte Buchstabe durch einen kleinen Ring bezeichnet. Worte, die mit demselben Buchstaben enden, mit dem sie auch beginnen, haben sinngemäß in sich zurücklaufende Charakters. Agrippa erlaubt sich bei der Konstruktion viele Ungenauigkeiten. Eine davon wurde bereits bei der Besprechung der Druckfehler des ältesten bekannten Druckes erwähnt.
Agrippas Charaktere wurden immer wieder auf astrologischen Talismanen verwendet, ebenso die aus dem Heptameron des Petrus von Abano und aus Arbatel (beide in den Opera omnia) stammenden Charaktere. Ein Satz astrologischer Medaillen, der im deutschen Sprachgebiet geprägt wurde, verwendet auch die in den Archidoxen für die zwölf Tierkreiszeichen angegebenen Charaktere und Beischriften. Kircher erklärt mit der ihm eigenen Kühnheit und Unbekümmertheit alle Charaktere, die sich bei den von ihm abgebildeten magischen Quadraten befinden. Richtig sind diese Erklärungen kaum.
Der Großteil dieser Charaktere von den hellenistischen Zauberpapyri, über die byzantinischen und arabischen Handschriften bis zu den europäischen Vorkommen in der frühen Neuzeit ist unerklärt. Sicher handelt es sich in den meisten Fällen um Geheimschrift.
Zum Schluß sind noch jene Bilder der Planetengötter zu besprechen, die sich auf den Medaillen befinden. Sie entsprechen fast sämtlich den Beschreibungen in den Archidoxen, womit keineswegs gesagt ist, daß sie erst nach der Veröffentlichung dieser Beschreibungen entstanden sind. Allerdings sieht man z. B. auf dem Sigillum Solis der schönen Kassette mit den sieben Medaillen (App. XVII/7) die Beischrift "Solis" . In den Archidoxen steht nämlich: "auf seinem haupt ein sonne und den namen solis" ,was durch Deklination auf den Nominativ zurückzuführen, anscheinend nicht gelang.
Die Bilder der Planetengötter auf den Medaillen gehören durchaus noch der Tradition der Scotus-Handschriften an und sind von der Entwicklung der Renaissance bezüglich der Ikonographie unabhängig. Der Kunststil aber, in dem diese Bilder ausgeführt sind, folgt der Zeit, z. B. der Formgebung der Kleinmeister.
Saturnus wird durch einen alten, bärtigen Mann dargestellt, der mit einem Spaten gräbt. Bald ist er voll bekleidet, bald trägt er nur ein Hüfttuch. Der in den Archidoxen erwähnte Stern über dem Haupt fehlt bei keinem dieser Götter.
Jupiter ist durch einen Priester mit Buch gegeben. Oft hat er einen Adler zu Füßen, der in den Archidoxen nicht erwähnt ist.
Mars ist, wie in den Archidoxen beschrieben, als Ritter mit Schild und Schwert in den Händen gebildet. Manchmal steht er aber auch auf dem Schild oder hat den Schild gegen das linke Bein gelehnt.
Sol ist als König dargestellt. Meist hat er den Löwen zu Füßen. Er sitzt auf einem Thron, einmal in einem Zelt, einmal steht er zwischen zwei Säulen.
Venus ist manchmal bekleidete manchmal unbekleidet. Fast immer ist neben ihr noch Cupido mit Pfeil und Bogen dargestellt. Sie spielt auf einer Laute oder Harfe oder hält diese Instrumente in der Hand. Oft hält sie auch ein brennendes Herz und einen Pfeil in den Händen.
Mercurius, der sehr selten vorkommt, ist geflügelt, trägt Flügelhaube und Flügelschuhe und hält den Caduceus in der Hand.
Luna steht auf der Mondsichel und hält eine Mondsichel in der Hand.
Von Interesse sind die Planetenbilder Hiebners, die nicht Götterfiguren sind, sondern die materieller Planeten, wie man sie im XVII. Jh. durch das Fernrohr sah: Saturn mit unverstandenem Ring.
Jupiter mit vier Monden. Mars als dreieckiger Felsblock, Sonne mit Flecken. Venus und Merkur als Sicheln. Mond als kleine Mondkarte, Auf den nach solchen Vorlagen geprägten Medaillen der Luna sieht man mitten unter den Mondkratern eine kleine Mondgöttin.
Beim magischen Quadrat des Jupiter finden sich oft Beizeichen, die bei Wierus abgebildet sind. Er gibt auch eine volle Herstellungsanweisung mit der Beschwörung Jupiters nach Picatrix. Quelle gibt Wierus keine an. Warum er in seine Bücher solche Beschwörungen aufnahm und warum er im Liber apologeticus auch eine travestierte höllische Hierarchie brachte, die Pseudomonarchia daemonum, ist unbekannt. Seine Kampfschriften gegen die Dämonomanen waren übrigens wenig erfolgreich und nicht klug angelegt.
Völlig eindeutig ist hingegen der Grund der Verwendung des Wortes "Magie" in Buchtiteln zur Zeit der Aufklärung. Unter diesem noch immer zügigen Schlagwort kam damals eine heute nur mehr in wenigen Bibliotheken vorhandene Literaturgattung auf den Markt. Es gibt zahllose, auch vielbändige Ausgaben, die in Massen gedruckt wurden. Der ziemlich öde Inhalt besteht aus Kartenkunststücken, verschiedenen nützlichen Rezepten und gipfelt meist mit der Anleitung zu einer Geisterbeschwörung mit Hilfe der Laterna magica. Diese Propagandaschriften der Aufklärung haben sicherlich das Hauptverdienst bei der Unterdrückung des Glaubens an Talismane.
Im Jahr 1676 bildete Reicheltius eine kleine Sammlung von Talismanen in Kupferstich ab, darunter einen kristallomantischen Spiegel aus Berg- Kristall mit vergoldeter Bronzefassung sowie die unter dem Namen "Regenbogenschüsselchen" bekannten keltischen Münzen. Dieses schon fast antiquarische Interesse gegen Ende des XVII. Jh. ist ein Anzeichen dafür, daß die Blütezeit der Herstellung bereits vorüber war. Gleichsam als Epilog ersehnen 1717 eine Bibliographie der Talismanologie von Arpe, eine so spannende Lektüre, daß E. Th. A. Hoffmanns Kater Murr damit seinen Liebeskummer betäuben konnte.
Die im Appendix abgebildeten astrologischen und alchimistischen Medaillen sind eine Auswahl der schönsten Stücke des Wiener Münzkabinettes. Jene Stücke, die keine magischen Quadrate enthalten werden erst in den folgenden Abschnitten besprochen. Die ausführliche Bildbeschriftung stellt den Zusammenhang mit dem Text dieser Erläuterungen her.
De occulta philosophia, bzw. die Beigaben der Opera omnia sind solcherart zu einem Handbuch für die Herstellung von Talismanen geworden. Tatsächlich kann man die Wirkung Agrippas durch die Jahrhunderte am besten an diesen Talismanen verfolgen. Agrippa kam hier jene Rolle zu, die im islamischen Gebiet al-Buni spielte. Im christlichen Europa handelt es sieh allerdings um eine von Verboten bedrohte, fast unterirdische und daher zunehmend verödende Entwicklung neben der offiziellen Religion. Im islamischen Gebiet hingegen wurden vor allem die Koranverse für talismanische Zwecke verwendet, was auch wieder zu einem Faktor der Verödung wurde.
Es ist gar keine Frage, daß eine solche Wertschätzung keineswegs den Absichten Agrippas entsprach, der die Charaktere usw. nur beispielhaft, zur Illustrierung der mit den hermetischen Offenbarungen eben unlösbar verbundenen astrologischen Anschauungen brachte. Zur Zeit der Renaissance war aber der Lavastrom der neuen Ideen noch flüssig und keines der Kinder dieser Zeit konnte vorausahnen, in welcher beabsichtigten oder unbeabsichtigten Weise er für Jahrhunderte erstarren sollte.